Diverse Menschen

"Mama, warum sieht hier keine Prinzessin aus wie ich?" Integration im Alltag – Spielen, Entdecken, Lesen, Lernen 

Essay von Jette Maxi-Marie Willoweit
Diverse Menschen
Foto: pixabey.com

Integration beginnt dort, wo der Einzelne von seiner Normvorstellung abweicht. Es ist nicht eigens die Aufgabe von Bildungseinrichtungen und städtischen Organisationen für eine gelungene Integration zu sorgen, sondern jeder einzelne sollte seinen persönlichen Beitrag dazu
leisten. Integration beginnt nicht erst in der Schule oder in Sportvereinen. Integration beginnt im Alltag, auf der Straße, in Cafés, in Kleidungsgeschäften und Spielwarenläden. Es ist essenziell, dass sich nicht einzig der hetero-normative-weiße cis-Mensch in der gesellschaftlichen Alltagskulisse wohlfühlt, sondern jedes Mitglied unserer kulturell-religiös-ethnographisch pluralen Gesellschaft.

Einen wichtigen Schritt für Integrationsförderung im Alltag von Familien, Kinder und Jugendlichen ist die weiße Berlinerin Mirjam Schröter als Mutter von zwei schwarzen Kindern gegangen. Sie verkauft in ihrem Laden ‚Diversity Spielzeug‘ vielfältige Spielsachen und Bücher, die über die Normvorstellung der weißen Familienkonstellation von ‚Mutter-Vater-Kind‘ hinausgeht. Sie integriert und inkludiert, indem Spielzeug und Bücher die reale Lebenswelt einfangen. Dies erfolgt durch verschiedenste Familienkonzepte, mittels kultureller und religiöser Vielfalt, die geboten und dargestellt wird, sowie Menschen mit Handicaps, die Raum in ihrem Geschäft finden. „Somit hat sie auch einen Raum für interethnischer Kontakte hergestellt, wodurch auch gegenseitige Vorurteile und daraus entstehende Diskriminierungen [abgebaut werden können].“ (Merten et al. 2018: 438).

Mehr Diversität im Alltag sollte keine Option, sondern ein Muss sein. Für Kinder und Jugendliche ist es unumstritten, dass sie für eine gelungene und positive Entwicklung ihrer Persönlichkeit ein Umfeld benötigen, in welchem sie sich selbst und ihre Familien identifizieren können (vgl. ebd.: 119). Ist dies nicht der Fall, fühlen sich Kinder automatisch ausgeschlossen, ohne zu verstehen, weshalb ihre Lebenswelt im Alltag nicht widergespiegelt wird. Das hat sowohl Folgen für das persönliche Wohlbefinden, aber auch für die Entwicklung des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen. Bei der Repräsentation von Pluralität ist zu beachten, dass dabei diskriminierende und oder stereotypische Darstellungen überwunden werden. 

Bereits im Kleinkindalter kann man das Entstehen von Vorurteilen durch diverses und integratives Spiel-, Buch- und Bastelmaterial verhindern. Allein zur Überwindung von Vorurteilen und Xenophobie sollte in Kindertagesstätten nicht nur die weiße Puppe mit blonden Haaren im Regal sitzen und Aschenputtel gelesen werden. Integration und Überwindung von Vorurteilen im Kindesalter gelingt vor allem dann, wenn Puppen verschiedenster Hautfarben, Bücher wie the proudest blue und auf Puzzle mit dem Thema ‚Liebe und Familie‘, auf denen nicht nur Mann und Frau abgebildet sind, endlich als das im Alltag behandelt und verhandelt werden, was sie sind: Normal. Die Integration hat in der Lebenswelt der Kinder- und Jugendlichen stattzufinden in Form von Spielzeug, Literatur, Filmen, kurz: In ihrer Lebenswelt, ob zuhause oder in einer Einrichtung. „Dieses gestalten und Vorleben einer achtsamen (in vielfacher Hinsicht) sensibilisierenden [Lernkultur und Entdeckungskultur]“ (Kergel 2019: 407) könnte Kinder für Diversität sensibilisieren, sodass eine andere Hautfarbe als die eigene, oder ein unbekannter Kleidungsstil nichts ist, was angestarrt, sondern als Normalität erkannt und eingeordnet wird. Vielleicht würden Kinder dann eine Muslima in der Schule nicht fragen, weshalb sie einen Hijab trägt, oder im höchst diskriminierenden Fall darüber lachen, da sie durch Puppen oder Kinderbücher wüssten, dass dieser aus persönlicher Überzeugung und religiösen Gründen getragen wird.

Ein weiteres Argument betrifft das dringend aufzufrischende Hintergrundwissen über Kulturen, die einen seit Jahren umgeben aber immer noch aufgrund von Ignoranz und Unwissenheit völlig fremd scheinen. Die Erweiterung des eigenen Horizonts ist die Grundbasis für Akzeptanz. Fast jedes zehnte Paar in Deutschland ist ungewollt kinderlos. Sechs Millionen Menschen sind es weltweit. In Deutschland leben 800.000 Kinder, die elternlos sind. Weltweit sind es mehr als 147 Millionen. Viele kinderlose Paare nutzen den Weg einer Adoption, verzichten aber möglicherweise darauf ein Kind anderer Hautfarbe zu adoptieren, weil ihre Lebenswelt das Familienkonzept ungern sieht, oder weil sie sich der Aufgabe den Rassismus zu überwinden für sich selbst und für das Kind nicht gewachsen fühlen. Es gilt solche Ängste aufzuheben und dadurch die Chancen für Familien global zu erkennen und nicht allein national zu denken.

„Gesetzlich ist seit 2006 im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert, dass eine Benachteiligung und Diskriminierung aufgrund der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen sei.“ (Linneberg 2022: 76). Hiermit sei nur ein Bereich aufgeführt, welcher die vier Grundprinzipien der Kinderrechtskonvention von 1989 abdeckt. Darüber hinaus inkludiert er das Recht auf die Wahrung des Kindeswohl, das Recht auf Leben und Entwicklung in Bezug auf ein vorurteilsbewussten Bildungssystem, welches Chancengleichheit ermöglicht und diverse Vorbilder zu präsentieren hat und das Recht auf Partizipation. Es stellt sich die Frage, ob man guten Gewissens behaupten kann, das dies alle sermöglicht wird oder ein Ziel für die hyperdiverse Generationen bleibt, die nach den ‚Boomern‘ folgt (vgl. ebd.: 74).

Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass im Punkt Integration und Inklusion immer noch stark der Fokus auf der jetzigen Generation gerichtet ist, wie zum Beispiel „[die] klassischen Assimilationstheorie [...]“  (Merten et al. 2018: 430). In Bezug auf das bisher angeschnittene Zukunftsdenken sollte nicht vergessen werden, wen es letztlich betrifft und das sei hier keine dahingestellte Floskel, denn Fakt ist: Kinder sind die Zukunft. Und neben Nachhaltigkeit und Klimaschutz gehören auch Toleranz und Gerechtigkeit in ein Leben, dass für die eigenen Kinder wünschenswert ist. Ein Kinderzimmer, ein Kindergarten, ein Geschäft mit diversem Spielzeug und vorurteilsbewussten Büchern sind simple aber umso wertvollere Beitrag, um dort hinzugelangen und die Erziehung toleranter und aufgeschlossener Kinder und Jugendliche zu fördern.

Um die angesprochenen Hindernisse zu überwinden und um ihren und anderen Kindern ein integratives Aufwachsen zu schaffen sowie eine optimale Umgebung für deren Identitätsentwicklung zu ermöglichen, hat die 36-jährige Projektmanagerin den Laden ‚Diversity Spielzeug‘ in Berlin Neukölln eröffnet, der ebenfalls über ein breites online Repertoire verfügt. Den Online-Shop leitete sie bereits als Sozialpädagogik Studentin mit zwei Kindern. Seit Jahren sorgt Mirjam Schröters Laden anhaltend für positive Publicity in den Medien und der Presse und wird mit Artikeln wie „Dieses ‚Diversity Spielzeug‘ sollte es in jedem Spielzeugladen geben“ (Schröter 2016) und „Diversity Spielzeug: Im Kinderzimmer wird’s bunt“ (ebd.) für ihren Beitrag zur Integration und Förderung von Diversitätssensibilisierung gelobt und ist ebenfalls eine Inspiration für andere Hersteller. Dennoch ist Vielfalt immer noch Seltenheit. Mit mehr Sinn für Integration im Alltag wird unsere Welt eine tolerantere und offenere, eine, in der sich nicht nur ein Teil der Gesellschaft wohlfühlt, sondern jeder einen Platz für sich und das eigene Wohlbefinden finden darf. Oder bleibt es illusorisch? 

Literatur

  • Kergel, David (2019). Praxishandbuch Habitussensibilität und Diversität in der Hochschullehre,
    Prekarisierung und soziale Entkopplung – transdisziplinäre Studien SpringerLink, Wiesbaden.
  • Linneberg, Sylvia (2022). Diversitätsorientierte Öffnung in öffentlichen Bibliotheken am Beispiel der
    Bücherhallen Hamburg, in: Bibliothek. Praxis und Forschung 46, 74-81.
  • Merten, Moritz, Yildirim, Deniz & Keller, Carsten (2018). Migration und soziale Integration von Kindern und Jugendlichen, in: Lange, Andreas, Reiter, Herwig, Schutter, Sabina & Steiner, Christina (Hrsg.), Handbuch Kindheits- und Jugendsoziologie, Springer Reference Sozialwissenschaften, Wiesbaden, 427-448.
  • Schröter, Mirjam (2016): Diversity Spielzeug, https://diversity-spielzeug.de/die-idee/ Externer Link(14.02.2023).