Einen Monat ist es nun her, dass überall auf der Welt Menschen den Beginn des neuen Jahres feierten, sich über gute Vorsätze austauschten und erwartungsvoll in die Zukunft blickten. Doch der nach Papst Silvester I. benannte letzte Tag des Jahres nach gregorianischem Kalender ist nicht der einzige Neuanfang, der in den letzten Monaten zelebriert wurde. Sowohl im ostasiatischen Raum als auch in vielen europäischen Großstädten konnte man über das Wochenende des 22. Januars hinweg Drachen- und Löwentänzen beiwohnen und durch festlich geschmückte Straßen flanieren. Mit dem chinesischen Neujahrsfest wurde nach chinesischem Lunisolarkalender das Jahr des Hasen – beziehungsweise in vietnamesischer Tradition das Jahr der Katze – eingeläutet. Und nur wenige Tage später feierten Hindus das Frühlingsfest Vasant Panchami, mit der die Göttin Sarasvati geehrt wurde. Das zeigt: Kalender sind nicht nur Werkzeuge, um die natürliche Zeit zu messen, sondern auch gesellschaftliche Konstrukte, um sie zu systematisieren.
In den meisten Kulturen und Religionen sind die Jahreszyklen dabei geprägt von wiederkehrenden Festen. Feste zu feiern darf man daher wohl zurecht als integralen Bestandteil menschlichen Lebens bezeichnen, der wichtige Funktionen erfüllt. In der Gemeinschaft begangen, erschaffen Feste ein Gefühl der Verbundenheit unter den Teilnehmenden, stiften Identität und rufen Werte, Normen, gemeinsame Geschichte und Ursprungsmythen in Erinnerung (Assmann 1991; Antes 2018). Für Kinder bedeuten Feste deshalb nicht nur, dass sie ihre Religion auf feierliche Art und Weise ausleben können und sie oft auf eine intensivere Art und Weise erfahren, als dies im Alltag möglich ist, sondern sie stellen ebenfalls wichtige Momente religiöser Bildung dar. So vermitteln Rituale, die im Rahmen der Feste begangen werden, Informationen über deren Wurzeln, über religiöses Brauchtum und Verhaltensnormen (Antes 2018: 9).
Kultur- und Religionssensible Pädagogik zeichnet sich deshalb dadurch aus, dass sich die Entscheidung, welche religiösen Traditionen mit den Kindern begangen oder zumindest thematisiert werden, nicht nur nach der Religionszugehörigkeit der Mehrheit der Kinder richtet.
Doch Feste des Jahreskreises können ebenfalls einen spannenden Anlass darstellen, unterschiedliche religiöse und kulturelle Traditionen erfahrbar zu machen. Davon profitieren alle Kinder der Einrichtung, da ihnen so Grundlagenwissen über andere Religionen vermittelt und früh ihre Pluralitätsfähigkeit geschult wird (Stockinger 2017: 19 f.).
Diese Kompetenz ist nicht nur innerhalb diverser Kindergruppen entscheidend, sondern auch für eine Zukunft in einer pluralen Gesellschaft. Freilich ist zu bedenken, dass im Migrationskontext nicht alle Bräuche immer genauso ausgeführt werden können wie im Ursprungskontext, weil beispielsweise Ressourcen fehlen, und dass von pädagogischem Fachpersonal nicht erwartet werden kann, Religionen, denen sie selbst nicht angehören, vollumfänglich und »authentisch« zu repräsentieren.
Trotzdem gibt es bereits zahlreich best practice-Beispiele, wie interreligiöse Bildung in elementaren Bildungseinrichtungen verankert und das Begehen unterschiedlicher Feste gemeinsam mit religiös heterogenen Kindergruppen gestaltet werden kann (s. z.B. Schweitzer u.a. 2012).
Abgesehen davon, dass auch in religiöser Hinsicht diverse Teams definitiv einen Vorteil darstellen, zeigen diese Beispiele, dass Sozialraumorientierung und Vernetzung mit verschiedenen Akteuren vor Ort dazu beitragen können, plurale Feste und Bräuche aufzugreifen. Eine Möglichkeit ist es, Repräsentant*innen und Expert*innen religiöser Organisationen aus der Nachbarschaft zu interreligiösen Feiern einzuladen. Außerdem empfiehlt es sich, Eltern und ihre religiösen Kompetenzen zu integrieren. So können Eltern unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu Gesprächskreisen mit den Kindern aufeinandertreffen, mit ihnen zu festlichen Anlässen traditionelles Gebäck zubereiten und die religiöse Feste erzählerisch in den Gesamtzusammenhang ihres Glaubens einordnen.
Mit dem interreligiösen Kalender pdf, 412 kb der Kurs.B-Arbeitsstelle, der – wenn er auch nicht allen religiösen Traditionen gerecht werden kann – können Sie doch einen kleinen Einblick in unterschiedliche Festkulturen und Orientierung in den verschiedenen Kalendersystemen bieten soll.
Literatur
- Antes, Peter. 2018. „Funktion und Rolle von Religion in der Gesellschaft: Eine religionswissenschaftliche Perspektive.“ In Transformation religiöser Symbole und religiöser Kommunikation in der Diaspora: Sozialpsychologische und religionssoziologische Annäherungen an das Diskursfeld Islam in Deutschland, hrsg. von Rauf Ceylan und Hacı-Halil Uslucan, 2–17. Wiesbaden: Springer VS.
- Assmann, Jan. 1991. „Der zweidimensionale Mensch: Das Fest als Medium des kollektiven Gedächtnisses.“ In Das Fest und das Heilige: Religiöse Kontrapunkte zur Alltagswelt, hrsg. von Jan Assmann, 13–20. Studien zum Verstehen fremder Religionen 1. Gütersloh: Gütersloher Verl.-Haus Mohn.
- Edelbrock, Anke/Biesinger, Albert/Schweitzer, Friedrich (Hrsg.) 2012. Religiöse Vielfalt in der Kita: So gelingt interreligiöse und interkulturelle Bildung in der Praxis. Frankfurt am Main: Cornelsen.
- Stockinger, Helena. 2017. Umgang mit religiöser Differenz im Kindergarten: Eine ethnographische Studie an Einrichtungen in katholischer und islamischer Trägerschaft. Münster, New York: Waxmann Verlag GmbH