Alte Synagoge Erfurt

"Lernen am anderen Ort"

kulturelle und religiöse Stätten vor Ort
Alte Synagoge Erfurt
Foto: Heinrich Stürzl

1. Die Pädagogik religiöser Räume, Kirchenraumpädagogik und Sakralraumpädagogik - Definitionen

Die verschiedenen Religionen eint das Verständnis, dass sich ihr Glaube in der Gestaltung ihrer religiösen Räume ausdrückt, in den Tempeln, Kirchen, Synagogen und Moscheen. Die Pädagogik religiöser Räume knüpft an das Konzept der Kirchenraumpädagogik an, deren didaktischer Ansatz „die Suchbewegung vieler Menschen unserer Zeit nach besonderen Orten und Räumen auf[nimmt], an denen sie gegenüber der Hektik des Alltags und der reizüberflutenden, allgegenwärtigen Medienlandschaft Stille, Einkehr und Besinnung erfahren (können).“ (Boschki 2008: 144). Die Ausweitung dieses Ansatzes auf die religiösen Räume anderer Glaubensgemeinschaften, wird auch Sakralraumpädagogik genannt und ist für das interreligiöse Lernen von besonderer Bedeutung.

2. Wie erschließen Kinder sich religiöse Orte und Räume?

Die meisten Kinder haben mit religiösen Orten und Räumen nur wenig Erfahrung, sind aber dennoch aufgeschlossen dafür. Bei entsprechender Unterstützung können sie still sein und die Eigenheiten dieser heiligen Stätten durch basale Erfahrungen (Hören, Sehen, Riechen, haptisches Fühlen), handlungsorientiertes Gestalten und komplexe Entdeckungen wahrnehmen. Durch die Auseinandersetzung mit Tempeln, Kirchen, Synagogen und Moscheen werden ganzheitliche, soziale, lebenspraktische und religiöse Lernerfahrungen der Kinder gefördert.

Religiöse Orte und Räume „durch die Augen der Kinder“ betrachtet, ...

  • sind wunderbare Orte: Menschen und Gott begegnen sich dort. Kinder lieben sie. Den weiten Raum, die hohen Säulen, den geheimnisvollen Duft, die Farben, die Musik und besonders – die Stille.
  • sind sichere Orte: Die Mauern – seit Jahrhunderten stehen sie. Generationen haben hier gelacht und geweint, geträumt und gesungen.
  • bringen unsere Seele zum Klingen: Sie wecken in uns Bilder von Heilung und Freude, Gefühle von Geborgenheit und Zuversicht. Ein Stück Himmel auf Erden.
  • laden ein, entdeckt zu werden: Von Kindern und mit Kindern. Wir kommen dabei Lebens- und Glaubenserfahrungen auf die Spur und Gott.

3. Gestaltung eines Besuchs eines religiösen Ortes oder einer Glaubensgemeinschaft mit Kinder

Ein bewährtes didaktisches Schema ist Folgendes:

  • Ankommen und das Gebäude von außen wahrnehmen:
    - Merkwürdiges entdecken
    - Unterschiede zur Kindertagesstätte/Schule wahrnehmen
    - Entdeckungsspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“ usw.

  • Verweilen am Portal:
    - über Türen und Tore sprechen
    - das Hauptportal betasten und beschreiben
    - Überlegen, was man hinter der Eingangstür finden könnte usw.

  • Eintreten:
    - sich dort hinsetzen, wo es einem am besten gefällt
    - schweigend im Kirchenraum umhergehen und alles betrachten
    - Leiberfahrung: den Raum in mir erleben, z.B. groß oder klein machen usw.

  •  Gemeinsam entdecken:
    - Die Heilige Schrift (Thora, Bibel, Koran) betrachten und daraus vorlesen lassen
    - entdecken, wie das Licht in den Raum kommt und die Fenster betrachten
    - Rundgang: gemeinsam durch den Raum pilgern, Geschichten hören und darüber sprechen
    - herausfinden, wie es im Raum riecht und was man hört
    - die Gegenstände, Wände, den Boden im Raum berühren usw.

  • Individuell entdecken:
    -
    Malvorlagen ausgestalten oder selber (ab)malen
    - den Raum „ausmessen“ mit Hand, Fuß und Schritt
    - Symbole und Zeichen im Raum entdecken (z.B. mittels Entdeckerbogen) usw.

  • Auszug:
    - sich gegenseitig Frieden wünschen
    - ein Friedenslied singen
    - gemeinsam ausziehen usw.

  •  Vertiefung danach:
    - das Gebäude nachbauen (mit Pappe, Bausteinen)
    - die Kirche aus der Erinnerung malen
    - Fotos, die man während des Besuchs gemacht hat, in ein Album kleben usw.

4. Beispiele in Jena und Thüringen

  • Synagogen (Judentum)
    - Neue Synagoge, Juri-Gagarin-Ring 16, 99084 Erfurt
    - Alte Synagoge, Waagegasse 8, 99084 Erfurt
    - Gemeinde Jena, Salvador-Allende-Platz 11 und 13, 07747 Jena
    - alle der Jüdische Landesgemeinde Thüringen zugehörig, Informationen unter www.jlgt.orgExterner Link
  • Kirchen (Christentum)
    - Evangelisch-Lutherischer Kirchenkreis Jena, z.B. Stadtkirche St. Michael, Kirchplatz 1,
    07743 Jena, Informationen unter www.kirchenkreis-jena.deExterner Link
    - Katholische Pfarrgemeinde St. Johannes Baptist, z.B. Pfarrkirche St. Johannes Baptist, Wagnergasse 34, 07743 Jena, Informationen unter www.stjohann-jena.deExterner Link

  • Moscheen (Islam)
    - Islamischer Kulturverein Jena e.V., Theo-Neubauer-Straße 10, 07743 Jena, Informationen unter www.ik-jena.deExterner Link
    - Islamisches Zentrum Jena e.V., Wagnergasse 25, 07743 Jena, Informationen unter www.iz-jena.deExterner Link
    - Internationales Islamisches Kulturzentrum, Erfurter Moschee e.V., Leipziger Straße 38, 99085 Erfurt, Informationen unter www.erfurter-moschee.coExterner Link

Quellen und weiterführende Literatur

  • Stefan Anderssohn: Handbuch Inklusiver Religionsunterricht. Ein didaktisches Konzept. Grundlagen – Theorie
    – Praxis, Neukirchen-Vluyn, 2016.
  • Roland Biewald, Bärbel Husmann (Hrsg.): Kirchenräume. Impulse für kirchenpädagogisches Lernen im Religionsunterricht, Leipzig, 2012.
  • Reinhold Boschki: Einführung in die Religionspädagogik, Darmstadt, 2008.
  • Christina Brüll, Norbert Ittmann (u.a.) (Hrsg.): Synagoge – Kirche – Moschee. Kulträume erfahren und Religionen entdecken, München, 2005. Bundesverband Kirchenpädagogik www.bvkirchenpaedagogik.deExterner Link
  • Hartmut Rupp (Hrsg.): Handbuch der Kirchenpädagogik, Kirchenräume wahrnehmen, deuten und erschließen, Stuttgart, 2006.
  • Dirk Schliephake, Martina Steinkühler: Was machen die Kinder in der Kirche? Einführungen und Materialien, Göttingen, 2011.
  • Dirk Christian Siedler: Religiöse Räume erschließen, in: Peter Schreiner (Hrsg. u.a.), Handbuch Interreligiöses Lernen, Gütersloh, 2005.
  • ZOEK e.V. (Hrsg.): Mein Gott, dein Gott, kein Gott, Interreligiöse Kompetenzen stärken! Eine Handreichung für PädagogInnen der Primarstufe, S. 60-61 unter http://zeok.de/wordpress/wp-content/uplo-ads/2014/09/manual_paedagoginnen_zeok.pdfExterner Link